Neuraltherapie

Besonderer Dank gilt an dieser Stelle zwei Ärzten, den Gebrüdern Huneke, die, wohl mehr oder weniger durch Zufall, auf das so genannte „Sekunden-Phänomen“ der Neuraltherapie stießen: bei Injektionen in bestimmten Körperregionen (unter anderem in altes Narbengewebe) verschwanden unmittelbar nach der Injektion plötzlich Erkrankungssymptome und Schmerzzustände an ganz anderen teilweise weit entfernt liegenden Körperarealen. Bei einem Teil dieser Patienten verschwanden die Erkrankungssymptome schon nach einer oder mehreren wiederholten Injektionen teilweise dauerhaft. Entsprechend postulierten die Gebrüder Huneke die Existenz der sogenannten „Störfelder“ im Sinne von chronischen Entzündungszuständen, die den Gesamtorganismus „energetisch“ schwächen und Beschwerden in anderen Bereichen des Körpers im Sinne einer „Fernstörung“ ähnlich einem technischen Störsender hervorrufen können. Hieraus entwickelte sich die sogenannte Störfeldtherapie, die sich die Diagnostik und Sanierung der energetischen Störfelder zum Ziel setzte.

Die Gebrüder Huneke gingen dabei von den drei folgenden Grundsätzen aus:

1. Jede chronische Erkrankung kann störfeldbedingt sein!

2. Jede Stelle des Körpers kann prinzipiell zu einem Störfeld werden!

3. Jede Störfelderkrankung ist ursächlich nur durch Ausschaltung des oder der Störfelder heilbar!

Neuraltherapeutische Diagnostik

Die diagnostische Feststellung eines Störfelds bzw. Herdgeschehens erfolgt im Rahmen der Neuraltherapie einfach als Probeinjektion mittels Infiltration (Einspritzung) von Lokalanästhetika wie Procain, Lidocain etc. an die jeweils verdächtigen Körperareale, die dadurch für den Zeitraum der Anästhesie keine Störimpulse mehr an den restlichen Körper übertragen können, da ihre schmerz- und reizweiterleitenden Nervenfasern (die sogenannte sympathische Innervation) ja vorübergehend ausgeschaltet sind. Der dadurch entstehende Neutralisierungsprozess ist mit dem Resetting eines abgestürzten Computersystems durch Drücken des Reset-Schalters vergleichbar: durch vorübergehendes Ausschalten der sich in einem oftmals chronisch-pathologischen Reizzustand befindlichen Nervenfasern des sympathischen Nervensystems entsteht die Chance „zu einem Neustart“ dieser Gewebe-Innervation quasi unter Vergessen der alten fehlgeleitet-festgefahrenen Nerven-Innervation nach Abklingen der das Gewebeareal ausschaltenden Anästhesie (=Betäubung). Durch die neuraltherapeutische Behandlung können aber auch parasympathische Nervenfasern diesem Reset-Phänomen unterzogen werden, wodurch die Regulation der inneren Organe wie zum Beispiel der Verdauungsdrüsen möglich wird, da diese maßgeblich durch den Parasympathikus in ihrer Aktivität gesteuert werden.

Neuraltherapeutische Therapie

Die verwendeten neuraltherapeutischen Verfahren reichen von der einfach zu erlernenden Quaddel-Therapie (kleine blasenartige Einspritzung in die Haut) im Rahmen der sogenannten Segmenttherapie über tiefere Infiltrationen von Sehnen, Muskeln, Bändern und Gelenken bis hin zu den ausgebildeten Experten vorbehaltenen Infiltrationen von Nervensträngen und Ganglien (Nervenknoten des peripheren Nervensystems).

Das vegetative Nervensystem

Eine der meines Erachtens nach vermeintlich größten Leistungen der Natur ist die Entwicklung des sogenannten vegetativen Nervensystems, das weitgehend unabhängig von Einflüssen des zentralen Nervensystems (ZNS) unsere innerorganismische Selbstregulation bewerkstelligt. Anatomisch-funktionell unterscheiden wir dabei drei Teile des vegetativen Nervensystems:

  • den Sympathikus („Kampfnerv“), der unser Nervensystem als Reaktion auf äußere Reize (evolutionsbiologisch betrachtet eben oftmals Angriffe) auf Leistungssteigerung, Kampf und Abwehr programmiert

  • den Parasympathikus („Ruhe- und Erholungsnerv“), der unser Nervensystem und vor allem unseren Stoffwechsel auf Erholung, Regeneration und den Aufbau körpereigener Reserven programmiert

  • das enterische Nervensystem (ENS), dass im Magen-Darm-Trakt angesiedelt ist und unsere Verdauungsvorgänge reguliert.

Was heißt das? Stellen Sie sich doch einmal vor, Sie müssten all die in ihrem Körperinneren automatisch regulierten Stoffwechselprozesse und Reaktionen auf Umweltreize bewusst mit dem Großhirn (ZNS) steuern: beim Essen einer Banane müssten sie alle Geschmacksimpulse bewusst wahrnehmen, verarbeiten und daraufhin entscheiden, welche Verdauungssäfte in welcher Menge von ihren Verdauungsdrüsen produziert werden müssen, um diese optimal verdauen zu können. Sie müssten bewusst andauernd den Füllstand ihrer Blase abfragen, um rechtzeitig ein stilles Örtchen aufsuchen zu können, von ihrer Enddarmfüllung ganz zu schweigen. Die Pupillenweite ihres Auges müssten sie ständig überprüfen und entsprechend der einfallenden Lichtreize weit- oder engstellen, ihre Schweißdrüsen in der Aktivität hochfahren, wenn sie die Sauna betreten, ihren Blutzucker bewusst wahrnehmend messen und dementsprechend hungern oder essen…

All diese innerorganismischen Regulationsvorgänge übernimmt erfreulicherweise unser vegetatives Nervensystem, das deshalb auch als autonomes Nervensystem bezeichnet wird, da es diese Regulationsvorgänge eben weitgehend unabhängig von unserer bewussten Wahrnehmung und Steuerungsimpulsen durch das zentrale Nervensystem ablaufen lässt. Problematisch wird es für uns nur dann, wenn dieser Anteil unseres Nervensystems quasi aus dem Ruder läuft und diese Steuerungsprozesse durcheinander geraten. Dann rennt man plötzlich auf die Toilette, obwohl man kaum Urin lassen kann und obwohl man keine Blasenentzündung hat. Dann bekommt man plötzlich unerklärliche Schweißausbrüche, vielleicht beginnt das Herz ohne erkennbaren Grund zu rasen oder es verlässt seinen gewohnten Rhythmus, der Blutdruck steigt an oder fällt ab, ohne dass es der äußeren Belastung entsprechen würde, auch die Muskulatur kann sich übermäßig verspannen, da der Muskeltonus ebenfalls vegetativ reguliert wird... Der Fachmann spricht dann oft von vegetativer Dystonie, was letztendlich nur umschreiben soll, dass die ausgewogene Regulation zwischen Sympathikus (Kampfnerv) und Parasympathikus (Ruhe- oder Verdauungsnerv) aus irgendeinem Grund verloren gegangen ist.

Durch die vorgenannten neuraltherapeutischen Infiltrationen an Nervenfasern und Nerven-Ganglien (das sind Nerven-Knotenpunkte, in denen viele dieser sympathischen oder parasympathischen Nervenfasern zusammenlaufen und deren Impulse ähnlich lokalen Netzwerk-Rechnern innerhalb eines großen Rechensystems verarbeitet werden) können auftretende Fehlregulationen über das vorgenannte Reset-Phänomen eventuell neutralisiert werden.

Vegetativer Stress als Ursache für vegetative Dystonie

Die Ursachen für diese Fehlregulationen liegen vermutlich auch in den im letzten Jahrhundert an Menge, Anzahl und Stärke extrem zunehmenden äußeren Impulsen und Umwelteinflüssen. Da unser vegetatives Nervensystem nun aber einmal so programmiert ist, auf all diese äußeren Impulse vegetative Antwort-Regulations-Reize produzieren zu müssen, wird es mit zunehmender Anzahl dieser Impulse aus dem Außen immer wahrscheinlicher, dass es diesen vielleicht nicht mehr gewachsen ist oder - anders betrachtet - nur mit den evolutionsbiologisch vorgegebenen Schablonen der Kampf-Antwort (Sympathikusaktivierung) oder Erschöpfungs-Antwort (Parasympathikusaktivierung) reagieren kann. Wir sind eben evolutionsbiologisch betrachtet nicht darauf programmiert, die massenhafte Flut von Umwelteinflüssen unserer modernen Zivilisationsgesellschaft parallel verarbeiten zu müssen. Genannt seien hier exemplarisch nur:

  • das ständige Berieseln mit oft viel zu lauter Musik und andere Lärmbelastungen

  • das ständige Beantworten von Telefonaten, E-Mails, SMS

  • die enge Taktung vieler Arbeitsprozesse, die uns oft aus Gründen der Wirtschaftlichkeit von Maschinen vorgegeben werden

  • aber auch die vielfältigen Einflüsse von Medikamenten, Umweltchemikalien, synthetischen Duftstoffen wie in Parfüms etc.

  • das Essen teilweise synthetisch hergestellter Nahrungsmittel, extrem zuckerhaltiger Brausen (zum Teil versetzt mit Coffein, Taurin..) - Stichwort „Convenience Food“ - das so genannte bequeme Essen im Sinne vorgefertigter Nahrungsmittel

  • die teilweise extremen Temperaturwechsel beim Wechseln von klimatisierten in nicht klimatisierte Räume oder Autos

  • die unkontrollierte zeitgleiche Bestrahlung durch Funkwellen, Mikrowellen (Elektrosmog) etc.

  • die Einflüsse von Aufputschmitteln, Drogen, Doping-Mitteln…

Kurz: die Daueranspannung unseres vegetativen Nervensystems. Kein Wunder, dass dieses aus evolutionärer Sicht uralte Nervensystem, das eigentlich nur zwei Arbeitszustände kennt, die Programmierung auf Kampf (Sympathikusaktivierung) oder Ruhe und Erholung (Parasympathikusaktivierung), dann eben auch mal aus dem Ruder läuft, indem es bei all den auf es einprasselnden Umwelteinflüssen in der Kampf- und Abwehrstellung verharrt und dementsprechende Fehlsteuerung veranlasst.

Entsprechend vielschichtig stellen sich dann die neuen Krankheitsbilder unserer Zivilisationsgesellschaft dar mit in der Erschöpfung und im Burnout befindlichen Menschen, die dennoch nicht zur Ruhe kommen können, trotz völliger Erschöpfung abends nicht in den Schlaf finden, nachts schweißgebadet erwachen und nicht wieder einschlafen können. Der zunehmenden Anzahl von Tinnitus-Patienten, denen psychosomatisch betrachtet „die innere Stimme“ ständig in den Ohren liegt und die dadurch nicht zur Ruhe kommen usw.

Merken Sie etwas? Bei vielen unserer Zivilisationskrankheiten fehlt „einfach nur“ das innere Gleichgewicht zwischen Ruhe und Anspannung, genau das, was ein gesundes vegetatives Nervensystem zu garantieren vermag. Man könnte sagen, dass das vegetative Nervensystem quasi vergessen hat, was Entspannung eigentlich ist.

Sehr schön können wir dies übrigens im Rahmen einer HRVT (HerzRatenVariabilitätsTestung) diagnostisch dokumentieren, die ich in meiner Praxis anwende. Hierbei misst ein Computersystem einfach über mehrere Minuten die Regulation ihres Herzrhythmus und kann daraus den in ihren Herzrhythmus quasi „eingebrannten“ Stresslevel diagnostizieren.

Helfen können hier neben neuraltherapeutischen Behandlungen vegetativer Schlüsselzentren wie zum Beispiel der Schilddrüse natürlich vor allem erst einmal die Reduktion der weiter oben erwähnten äußeren Störimpulse. Aber auch Infusionen mit Cholin, Magnesium, Procain, Basen etc., Akupunktur, Homöopathie, Phytotherapie (Therapie mit Pflanzenwirkstoffen), Farblichttherapie, eine Farblichtbrillen-Ton-Behandlung (z.B. mit Spectral vision der Firma Mindworld) und viele andere Therapien können helfen, das Nervensystem erst einmal wieder in die Entspannung (also die Parasympathikotonie) zu bringen. Sebstverständlich sollten auch klassische Entspannungsmethoden wie Meditation, Yoga, progressive Muskelentspannung nach Jacobson oder Taichi und Qi Gong in Erwägung gezogen werden.

Wer als Therapeut schon einmal erlebt hat, wie z.B.

…durch die bloße einfache neuraltherapeutische Infiltration eines auf ein Zahnherdgeschehen verdächtigen Zahnes z.B. ein chronisches therapieresistentes Schulterschmerzsyndrom (im Sinne einer Periarthritis humeroscapularis) verschwindet,

…wie durch bloße Infiltration von Narbengewebe in angrenzenden Geweben Sensibilitätsstörungen, Kopfschmerzen oder Migräne verschwinden,

…wie in ihrem Geruchssinn gestörte PatientInnen durch neuraltherapeutische Infiltration der Trigeminusäste oder des Ganglion sphenopalatinum plötzlich wieder riechen und schmecken können…

der möchte dieses diagnostisch und therapeutisch wirksame Behandlungskonzept nicht mehr missen.

Übrigens: die Schulmedizin tut sich nach wie vor schwer mit der Anerkennung der Neuraltherapie - mit Ausnahme der aus dem Facharztbereich der Anästhesie bekannten Infiltration von Nervensträngen im Rahmen der Schmerztherapie. Ein Grund hierfür ist sicherlich die in vielen Bereichen fehlende Reproduzierbarkeit des oben beschriebenen „Sekundenphänomens nach Huneke“, da dieses ebenso wie auch viele andere neuraltherapeutische Effekte eben nicht auf anatomisch bzw. physiologisch quasi fest „verdrahteten“ und damit klar definierten Wegen verläuft, sondern den individuell gestörten vegetativen Regelkreisen des einzelnen Patienten Rechnung trägt. Entsprechend schwer ist es, dies im Rahmen eines schulmedizinischen Studiendesigns abzubilden bzw. zu bewerten. Ich finde das aber auch gar nicht weiter schlimm. Denn schließlich gibt es den viel zitierten und berechtigten Ausspruch: „Wer heilt, hat Recht“.

Davon abgesehen nähert sich auch die Schulmedizin durchaus indirekt dem Erklärungsmodell der Neuraltherapie an: in der klinischen Umweltmedizin gilt es heute nämlich mittlerweile als gesichert, dass chronische Entzündungszustände (sogenannte Silent inflammations) schwerwiegende organische Erkrankungen auslösen oder zumindest mitbedingen können. Selbst Erkrankungen wie zum Beispiel die Depression werden zu Recht hinsichtlich ihrer Auslösung in kausalem (also ursächlichem) Zusammenhang mit Silent inflammations diskutiert.